Zadonk: Die Rollstuhlbasketball-Weltmeisterschaft im eigenen Land
Bis zur Rollstuhlbasketball-Weltmeisterschaft in Hamburg (16.08. – 26.08.2018) textet und philosophiert Rollt.-Macher Martin Schenk – im 3-Wochen-Rhythmus – über die Rollstuhlbasketball-Community und -Szene in Deutschland, das nahende Großereignis in der Freien und Hansestadt Hamburg sowie das illustre Leben als Schreiber, Interviewer und Familienmensch.
Überall dort, wo ich „aufschlage“ und mich mit Leuten unterhalte, gibt es ein großes Gesprächsthema: die Rollstuhlbasketball-Weltmeisterschaft in Hamburg. Ein Event, dem die Energie innewohnt, etwas Großes über zehn Tage entstehen zu lassen und die Kraft besitzt, Nachhaltiges für den Sport zu bewirken. Warum ich überzeugt bin, dass #Zadonk ein Erfolg wird, möchte ich mit Fakten, aber auch mit meiner persönlichen Wahrnehmung untermauern und darlegen. Gleichzeitig möchte ich gegenüber den Basketball-Beteiligten und -Freunden aber auch den Zeigefinger heben, beginnt doch die richtige Arbeit für Rollstuhlbasketball-Deutschland, so meine Meinung, erst nach der Siegerehrung in der Inselpark-Arena am 26. August 2018.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
Eine Veranstaltung oder ein Projekt steht und fällt mit denjenigen, die es planen, durchführen und koordinieren. Mit Menschen, die anpacken, diskutieren, streiten, aber nie das Ziel aus den Augen verlieren: nämlich eine Sportveranstaltung auf die Beine zu stellen, die Emotionen weckt und sich zu einer positiven Story bzw. einem unvergessenen Moment entwickelt. Solche Augenblicke verankern sich langfristig und dauerhaft im Gedächtnis der Fans und Spieler. Was gibt es für einen Menschen Schöneres, als einem anderen Menschen einen emotionalen und glücklichen Moment zu bescheren? Die Lebenszeit Dritter – ehrlich und mit Herzblut – zu versüßen. Dies gelingt nur, wenn die am Projekt Beteiligten, intrinsisch motiviert sind und für das brennen, was sie tun. Geld, oder andere extrinsische Motivationsfaktoren, stehen hierbei nicht im Vordergrund und spielen eine eher untergeordnete Rolle. Dem WM-Organisationskomitee (OK) ist es gelungen, ein Team zusammenzustellen, dessen Mitglieder bzw. „Teile“ auf ihrem Gebiet mit Hingabe agieren und arbeiten. Projekt- und Mannschaftskameraden, die nicht nur über die notwendige Expertise verfügen, sondern eine viel größeres „Asset“ mitbringen, nämlich den Willen, mit Freude, Spaß und Eigenmotivation, ein gemeinsames Ziel zu erreichen, und zwar: eine einmalige WM.
Wurden diverse Rollstuhlbasketball-Großveranstaltung von Personen geplant und umgesetzt, die aus der Branche kommen und den – mitunter wichtigen – Stallgeruch mitbringen, hat das WM OK im Falle der Heim-WM einen Kader zusammengestellt, dessen Spieler eine unterschiedliche Herkunft aufweisen. Neben Expertinnen und Experten aus der Rolli-Szene, wurde auch in anderen Ecken und Sportarten gewildert, um Leute zu gewinnen, die etwas bewegen wollen und einfach Bock haben. Diese Zutaten sind es, die mich optimistisch stimmen, dass das Großereignis an der Waterkant ein Erfolg für den paralympischen Sport wird.
Ach ja, der neutrale Dritte muss kein Hellseher sein, um jetzt schon zu wissen, dass auch im Hamburger Wilhelmspark Fehler passieren und nicht alles nach Plan laufen wird. Jedoch bin ich der Meinung, dass Zuschauer und Fans immer dann Fehler verzeihen, wenn diese im Eifer des Gefechts oder unbewusst passieren. Dies soll keine voreilende Entschuldigung sein, sondern vielmehr ein Hinweis auf die Späne, die zwangsläufig durchs Hobeln fallen werden.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Nun haben irgendwelche Strategen dafür Sorge getragen, dass sich die Para-Leichtathletik EM in Berlin mit der Rolli-WM in Hamburg teilweise überschneidet und es somit zu ungewollten Kannibalisierungseffekten im paralympischen Sport kommt. Unbenommen davon sorgt dies, neben der sportlichen und kulturellen Konkurrenz in Hamburg im August, dafür, dass sich die Organisatoren an Elbe und Alster etwas einfallen lassen müssen, um das Hamburger Umland und die Hansestadt für das inklusive Sportereignis zu begeistern. Ein positiver Druck entsteht, schließlich will keiner eine WM der leeren Ränge und Langweile. Wird sich in der Hafenstadt umgehört, ist zu vernehmen, dass Politik, Wirtschaft und auch die Multiplikatoren voll hinter dem Event stehen. Dem nicht genug, ist immer mal wieder von reichenweitenstarken Brückenköpfen zu hören, die die Veranstaltung pushen (werden). Dies, wie auch die bereits feststehenden 8.000 zuschauenden Schüler (Stand: Juni 2018), die vielversprechenden Schul- und Kulturaktionen sowie die Ticketverkäufe und Volunteer-Meldungen, stimmen mich positiv, dass im Norden der Republik etwas Geiles entsteht. Und nicht zu vergessen: Die Familien, Freunde und Bekannten der deutschen NationalspielerInnen, die es sich mit Sicherheit nicht nehmen lassen werden, ihre Jungs und Mädels anzufeuern und damit ihr Umfeld anstecken und zur WM-Triebfeder werden.
Das WM-Rahmenprogramm
Event hier, Event da. Heutzutage ist und muss jeder Kappen-, Skat- und Grillabend des lokalen Geflügelzuchtvereins zu einem riesigen Belustigungs- und Ablenkungsballon mit dem Namen „Event“ aufgeblasen werden. Schließlich, so die Event-Veranstalter und der Volksmund, muss den Leuten etwas geboten werden. Wenn alles zum Event wird, wo bleibt dann der eigentliche „Veranstaltungszweck“, der Sport? Auf der Strecke? Und wenn heutzutage alles zum Event mutiert, worin unterscheiden sich diese dann? Und genau an jenem Punkt hebt sich die WM wohlwollend von den üblichen „Events“ ab, steht doch der (Behinderten-)Sport und das Thema Inklusion im Vordergrund. Behindertenverbände informieren, paralympische Sportarten stellen sich vor und Jung und Alt können sich Rollstuhlbasketball-Spiele anschauen. Und ja, natürlich wird es auch im Inselpark Pommes, Musik und Kinderanimation geben – aber alles in einer gesunden Balance, so dass sich #Zadonk wohlwollend von den anderen Berieselungsveranstaltungen abhebt und sich der Rollstuhlbasketball möglichst lange und positiv im Kopf der Besucher verankert.
Die wahre Arbeit steht noch bevor
Die WM in der Hansestadt wird dem Rollstuhlbasketball einen immensen Auftrieb geben und (kann) den Sport wie eine Bugwelle vor sich herschieben. Wichtig wird sein, diese Anschubkraft zu nutzen, um die Strukturen zu schärfen, zu verfestigen und den Korbballsport langfristig im Gedächtnis der Sportbegeisterten zu verankern. Jede Menge Menschen, Entscheider und Pressevertreter werden im Norden der Republik das erste Rollstuhlbasketballspiel ihres Lebens sehen. Viele von ihnen werden Feuer fangen. Ein Zündfunke und eine Flamme, deren Wärme und Durchschlagskraft durch „After-Sales-Maßnahmen“ weiter am Leuchten gehalten werden muss.
Verantwortliche des Deutschen Rollstuhl-Sportverbandes (DRS) und der Rollstuhlbasketball-Bundesliga (RBBL) sollten Gespräche suchen, Kontakte anbahnen und sich mit den Fans austauschen. Vereinsvertreter müssen von der WM berichten, sie vor ihren „Vereinskarren“ spannen, um für sich und ihre Arbeit zu werben. Ja, sie müssen sich mit fremden Federn schmücken. „Schaut her, dies kann unser Sport leisten. Bei uns gibt es das im Kleinen zu sehen. Und mit weiteren Befürwortern und Verstärkern können wir gemeinsam etwas bewegen.“ Wer jedoch denkt, dass die WM alle Probleme löst, der irrt gewaltig. Ohne Bewegung keine Wärme.
Die Community, die Liga und der Sport müssen Gas geben, Nebenkriegsschauplätze erst gar nicht aufmachen und sich davon verabschieden, es immer allen recht zu machen. Eine RBBL muss professioneller werden, ein klares Profil und Zukunftskonzept entwickeln, wie die WM für die RBBL instrumentalisiert und genutzt werden kann. Dabei werden Breitensport orientierte Klubs auf der Strecke bleiben. Das ist aber ganz normal und ein „evolutionärer Prozess“. Rollstuhlbasketball in Liga eins und zwei ist kein reiner „Behindertensport“ mehr, wo sich ehemalige Reha-Gefährten zum Klickern und Austausch alter Geschichten treffen. Die RBBL steht im Wettbewerb. Nicht mit dem Fußball, dem Fußgänger-Basketball oder dem Eishockey.
Die RBBL ist und bleibt eine „Nischensportart“. Diese Nische muss jedoch strategisch gefüllt werden. Was Nischen im Stande sind zu leisten, hat der Darts-Sport“ oder auch zuletzt die Ringer gezeigt, die via Livestream und flankierender Maßnahmen ein attraktives „Freizeitprodukt“ kreiert haben, das begeistert, Interesse weckt und sexy Einbringungs- und Werbemöglichkeiten bietet. Denn: Eine Werbebande interessiert heute niemanden mehr, außer risikoscheue oder lustlose Marketingentscheider, die Dienst nach Vorschrift machen und ihren Marketingplan jedes Jahr aufs Neue von oben nach unten durcharbeiten oder den lokalen Unternehmer, der seinen Klub schon seit jeher unterstützt.
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass sich die jüngst im Umfeld der RBBL erzeugte und erkennbare Wärme zu einem kleinen Flächenbrand entwickelt und nicht zu einem kleinen Lagerfeuer verkommt, an das sich alle Beteiligte gewohnheitsmäßig und in unregelmäßigen Abständen setzen, um sich die Hände zu wärmen und Geschichten über die ach so schwierigen Rahmenbedingungen zum Besten geben.
Autor: Martin Schenk, www.rollt-magazin.de
Fotos: Uli Gasper
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